25. September 2001

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Nachruf auf Namgyal Tashi

Der ehemalige politische Gefangene Namgyal Tashi, der Vater von Ngawang Sangdrol, der bekannten in Drapchi inhaftierten Nonne, starb im Alter von 66 Jahren in seinem Heim in Lhasa. Einem zuverlässigen Bericht zufolge fand die Himmelsbestattung am 25. Septembers morgens statt. Die genaue Todesursache ist noch unklar; Namgyal Tashi soll jedoch schon mehrere Jahre bei schwacher Gesundheit gewesen sein und an Nierenproblemen und hohem Blutdruck gelitten haben. Der am Nachmittag des 20. Septembers verstorbene Namgyal Tashi hinterläßt 4 Töchter und 3 Söhne.

Namgyal Tashi, ein für seine Entschlossenheit und seinen starken Willen bekannter Mann, verbrachte einen Großteil seines Lebens in Gefängnissen und Umerziehungs-Arbeitslagern, zuletzt war er von 1991 bis 1999 acht Jahre lang wegen politischer Aktivitäten in Drapchi eingesperrt. Seine Tochter, die Garu Nonne Ngawang Sangdrol, leistet gegenwärtig eine Strafe von 21 Jahren ab - das längste Hafturteil einer weiblichen politischen Gefangenen in Tibet (siehe auch: www.tibetinfo.net/news-updates/nu150999.htm).

Namgyal Tashi wurde 1935 in der Gemeinde Chideshol in Kreis Gongkar (chin. Gongga), Präfektur Lhoka (chin. Shannan), in Zentraltibet geboren. Er heiratete 1957 Jampa Choezom, die ihm 8 Kinder gebar, von denen das älteste während der Kulturrevolution starb. Er war auch bei dem Volksaufstand von 1959 dabei, als Tausende von Tibetern in Lhasa auf die Straßen gingen, um gegen die chinesische Herrschaft zu protestieren. Die mittleren Jahre seines Lebens verbrachte er hinter Gittern, hauptsächlich in sogenannten Lagern zur Reform-durch-Arbeit (laogai). In den Siebzigern wurde er bei zahlreichen thamzing ("Klassenkampfsitzungen") verbal und physisch attackiert: Manchmal wurde er so entsetzlich geschlagen, daß man ihn bewußtlos nach Hause brachte.

In der Zeit der Liberalisierung (Anfang bis Mitte der Achtziger) besserte sich die Lage für Namgyal Tashi und seine Familie, so daß sie durch Arbeit in der Bauindustrie ihr Leben fristen konnten. Damals boten die Behörden jenen Personen, deren Vermögen konfisziert worden war, Entschädigung an. Als ehemaligen Grundbesitzern stand der Familie diese Kompensation zu, aber Namgyal Tashi soll sich geweigert haben, ein Dokument zu unterschreiben, in dem er seine Unterstützung für die chinesische Politik bescheinigen und um die Rückgabe seines Vermögens hätte ersuchen müssen, weshalb die Familie nichts von der Regierung bekam.

Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre beteiligte sich Namgyal Tashi an Aktionen für tibetische Unabhängigkeit. Im Juni 1991 wurde er wegen eines Vorfalls im Kloster Samye, als eine tibetische Flagge aufgezogen wurde, zusammen mit seinem Sohn Tenzin Sherab verhaftet. Tenzin Sherab wurde zu zwei Jahren und Namgyal Tashi zu 8 Jahren verurteilt. Mindestens fünf weitere Verwandte Namgyal Tashis, darunter auch sein Bruder Lobsang Lhundrub, wurden auf Verdacht der Beteiligung an friedlichen Unabhängigkeitsprotesten wie dem Verteilen von Briefen festgenommen. Kurz nach Namgyal Tashis Verhaftung 1991 starb seine Frau Jampa Choezom im Alter von 52 Jahren an Herzproblemen, wie es heißt.

Seine Tochter Ngawang Sangdrol wurde erstmals 1990 mit 13 Jahren festgehalten. Als sie 1991 vorübergehend freigelassen wurde, war inzwischen ihre Mutter gestorben und ihr Vater ins Gefängnis gekommen. Ngawang Sangdrol wurde erneut im Juni 1992 verhaftet, als sie versuchte zusammen mit einer anderen Nonne und drei Mönchen in Lhasa zu demonstrieren, und zu drei Jahren verurteilt. Seitdem wurde ihre Haftstrafe wegen weiterer Dissens-Bekundungen im Gefängnis dreimal verlängert. Sie soll 2013 entlassen werden.

In der Gefangenschaft konnten sich Vater und Tochter in den 90er Jahren regelmäßig besuchen, bis diese Besuche auf die Drapchi Gefängnisproteste vom Mai 1998 hin ausgesetzt wurden. Nach seiner Entlassung im Juni 1999 und nachdem die politischen Gefangenen in Drapchi wieder das Recht auf Besuche bekamen, war Namgyal Tashi bestrebt, seine Tochter regelmäßig zu besuchen, so daß er sie in den Monaten vor seinem Tod einige Male sehen konnte.

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